Phenosemantic Theory – Foundational Text

(Übersetzung des englischen Originaltextes)

Auszug aus Pia Solvang-Hamitics Grundsatzpapier aus dem Jahr 2016.

Phänosemantik


I. Einleitung
Die Phänosemantik (PSM) versteht fiktionale Texte als Zonen verdichteter Bedeutungsbildung, in denen sich unter definierbaren Diskursbedingungen Konfigurationen entwickeln, die phänomenologisch in Erscheinung treten können. Diese Konfigurationen heißen Phänoseme.

 Ein Phänosem ist kein Motiv und keine Metapher. Es handelt sich um eine Stelle maximaler semantischer Kompression, in der sich latente Wirklichkeitsdispositionen sammeln und in den Bereich des Erscheinenden drängen, sobald eine intern messbare Dichte in ein kritisches Intervall eintritt.

Um ein Missverständnis aus der Welt zu schaffen: Fiktion wird in der PSM nicht als Abbild verstanden, und nicht nur dort, denn Fiktion ist niemals Abbild (Vgl. Mimesis vs. Poiesis). Im Rahmen der PSM wirkt Fiktion als Überlauf der Bedeutungsproduktion in den Bereich der Wahrnehmung und des Handelns.

Unsere Theorie beruht auf drei Grundannahmen.
1. Bedeutung bleibt offen.
2. Die Welt bildet kein abgeschlossenes System.
3. Fiktion markiert jenen Punkt, an dem Bedeutung die verfügbare Halterung überschreitet und mit der Ordnung der Erscheinungen in Kontakt tritt.

Diese Sätze fungieren als Leitlinien für eine operative Methodik. Die Phänosemantik arbeitet an der Schnittstelle von Textanalyse, Kognitionsbeobachtung und Protokollierung von Effekten in sozialen und materiellen Umgebungen. Ziel ist die identifizierende und prüfende Erfassung von Phänosemen sowie die Bestimmung der Bedingungen, unter denen sich ihre Wirkung einstellt.


II. Begriffsapparat
Phänosem. Lokalisierte Konfiguration eines Textes mit erhöhter semantischer Kompression und internem Spannungsgradienten. Die Einheit wird über Indikatoren bestimmt, die aus Oberflächenmerkmalen, internen Verweisnetzen und leserseitigen Resonanzmustern gewonnen werden.

Dichte. Maß für das Verhältnis aus semantischer Fülle, formaler Verknüpfung und lokaler Redundanzreduktion. Dichte wächst, wenn Knotenpunkte mehrere semantische Bahnen bündeln und dabei eine stabile Kurzform aufrechterhalten. Dichte sinkt, wenn Expositionen ausufern und Entscheidungslinien verwaschen.

Schwellenintervall. Bereich erhöhter Wahrscheinlichkeit für das Auftreten phänomenologischer Effekte. Es handelt sich nicht um einen einzelnen Punkt, sondern um ein Intervall, in dem kleine Variationen der Lektüresituation große Unterschiede in der Erscheinung erzeugen können.

Resonanz. Wiederkehrendes Muster in kognitiven, sozialen oder materiellen Parametern, das auf die Aktivierung eines Phänosems verweist. Resonanz entsteht als statistisch auffällige Korrelation zwischen Textpassage, Lesevollzug und nachgelagerter Veränderung im Verhalten einer Umgebung.

Kontamination. Übertragungsphänomen, bei dem ein aktiviertes Phänosem in benachbarte Textteile oder in externe Protokolle eindringt. Kontamination wird nicht über Inhalte bestimmt. Entscheidend ist die beobachtbare Ausbreitung eines charakteristischen Musters.


III. Axiome in operativer Fassung
Erstes Axiom: Bedeutung bleibt offen.

Daraus folgt die Unmöglichkeit einer endgültigen Deskription eines Phänosems. Die Praxis verlangt daher Intervallangaben, Fehlerabschätzungen und die Bereitschaft zur Revidierbarkeit in allen Protokollen.
Zweites Axiom: Die Welt bildet kein abgeschlossenes System.

Daraus folgt die Erlaubnis, Effekte jenseits des Textkörpers zu registrieren und in die Analyse einzubeziehen. Der Beobachtungsraum umfasst die Lesesituation, das kognitive Profil der Lesenden, die zeitliche Nachwirkung und die kleinräumige soziale Umgebung.

Drittes Axiom: Fiktion überschreitet Halterungen der Bedeutung und berührt Erscheinung.
Daraus folgt die Forderung nach Prüfarrangements, die diese Berührung nachzuweisen erlauben. Die Phänosemantik verlangt keine Erklärung finaler Kausalität. Gefordert ist eine konsistente Reihe reproduzierbarer Indikatoren.


IV. Identifikationskriterien
Konnexität. Verdichtung erfordert tragende Verknüpfungen. Ein Phänosem zeigt ein dichtes Netz interner Referenzen, die in kurzer Strecke mehrere Bedeutungsebenen überkreuzen. Der Test prüft auf gerichtete Mikrorekursion innerhalb eines Absatzclusters.

Spannungsgradient. Ein Phänosem trägt eine messbare Erwartungslast. Diese Last entsteht aus Präzision und Restriktion. Je höher die Präzision eines Ausdrucks und je enger die Auswahl möglicher Fortsetzungen, desto stärker der Gradient. Als Messgröße dient die Divergenz zwischen vorausgesagtem und realisiertem Fortgang innerhalb eines kontrollierten Leserpanels.

Kompressionsmaß. Phänoseme zeigen hohe Informationsdichte pro Textquantum. Das Maß wird über Reduktionsparaphrasen, synonymische Engführungen und minimale Erhaltung der Referenz bestimmt. Je kürzer die tragfähige Restformel bei erhaltener Wirkung, desto höher die Kompression.

Resonanzspur. Aktivierungen erzeugen Spuren. Als Spur gilt ein Muster aus zeitnahen Reaktionen in Wahrnehmung, Sprache, Handlung oder in dokumentierten Artefakten. Spuren werden in Stichproben über mehrere Lesezyklen erhoben und mit Kontrollpassagen abgeglichen.


V. Prüfprotokolle
Baseline. Vor jeder Messung wird eine Grundlinie definiert. Diese umfasst die kognitive Ausgangslage der Lesenden, die räumlichen Parameter, die Exposition gegenüber Störreizen und das Vorwissen. Abweichungen von der Baseline sind zu protokollieren und in der Auswertung gesondert zu führen.

Blindcluster. Identifikationstests arbeiten mit anonymisierten Textsegmenten. Kandidaten für Phänoseme werden in Cluster gemischt, die formal ähnlich strukturiert sind. Die Panelauswertung bestimmt, ob Kandidaten signifikant häufiger Resonanzspuren zeigen als Kontrollen.

Zeitfenster. Resonanzen verlaufen in charakteristischen Profilen. Kurzfenster erfassen unmittelbare Reaktionen während und kurz nach der Lektüre. Mittelfenster verfolgen Veränderungen innerhalb von vierundzwanzig bis zweiundsiebzig Stunden. Langfenster dienen der Beobachtung von Persistenzen und späten Überlagerungen.

Externe Koinzidenzen. Bestimmte Aktivierungen gehen mit Auffälligkeiten in der Umgebung einher. Erfasst werden Diskrepanzen in Routineabläufen, serielle Fehlzündungen in Planungen, ungewöhnliche Wiederholungen in Kommunikationsakten. Die Protokollierung erfolgt ohne Deutung, mit Zeitstempel und Kontextangabe.


VI. Ausschlusskriterien
Überinterpretation. Reaktionen, die primär aus weltanschaulichen Dispositionen stammen, werden ausgeschlossen. Entscheidend ist das wiederkehrende Muster über heterogene Profile hinweg.

Hypersemantik. Textteile mit aufgeblähter Bedeutungsgeste ohne tragfähige Kompression liefern keine Phänoseme. Kennzeichen sind diffuse Assoziationsketten, fehlende Konnexität und ungerichtete Metakommentierung.

Artefaktverstärkung. Messverzerrungen durch instrumentelle oder kommunikative Rückkopplungen sind zu kennzeichnen. Studien, die auf sozialen Erwartungseffekten beruhen, gelten als unbrauchbar, sofern keine Gegenmessung vorliegt.


VII. Methodische Reichweite
Entgegen der intuitiven Erwartung beschreibt die PSM keine Inhalte. Sie liefert Verfahren zur Erfassung von Wirkfeldern, die in Texten entstehen und in Erscheinung treten können. Diese Felder werden über Dichte, Gradient, Kompression und Spur zugänglich. Der Zugriff erfolgt über serielle Tests, die an verschiedenen Orten und mit wechselnden Panels wiederholt werden. Ergebnisse gelten als belastbar, wenn sie unter Variation der Umgebungsparameter ein stabiles Muster erzeugen. Die Theorie fordert keine Totalerklärung. Sie verlangt tragfähige Nachweise für das Auftreten und die Persistenz von Effekten auf der Ebene des Erscheinens.


VIII. Ethischer Rahmen
Aktivierungen können Umgebungen verändern. Studien werden in informierten Settings durchgeführt. Panels erhalten eine klare Beschreibung möglicher Irritationen. Abbruchrechte sind jederzeit gegeben. Archive werden in gestuften Zugriffsmodellen geführt. Veröffentlichungen respektieren den Schutz persönlicher Daten. Forschungsziele richten sich auf Erkenntnisgewinn und methodische Klärung. Anwendungen mit Eingriffscharakter benötigen eine gesonderte Bewertung.


            
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